Ostpolitik: Innenpolitischer Streit um die Ostpolitik

Ostpolitik: Innenpolitischer Streit um die Ostpolitik
Ostpolitik: Innenpolitischer Streit um die Ostpolitik
 
Die Initiativen der sozialliberalen Koalition in der Deutschland- und Ostpolitik bauten auf Vorarbeiten der Großen Koalition auf. Von Anfang an standen Bundeskanzler Brandt und sein Außenminister und Vizekanzler Scheel in ständiger Absprache und Übereinstimmung mit den westlichen Bündnispartnern. Das Ziel der Bundesregierung, mit dem Abschluss von Verträgen einen Beitrag zur Friedenssicherung zu leisten und die Entspannung in Europa voranzutreiben, fand die volle Zustimmung der Verbündeten und stand im Rahmen der im Bündnis gemeinsam betriebenen Entspannungspolitik gegenüber dem Osten. In der Bundesrepublik kam es jedoch zwischen Regierung und Opposition zu einer langanhaltenden und sich im Laufe der Verhandlungen in Moskau, Warschau und Ost-Berlin ständig verschärfenden Kontroverse über die unterschiedlichen Standpunkte zur Ost- und Deutschlandpolitik und über die einzelnen Verhandlungsschritte und -ergebnisse.
 
Kernpunkte waren vor allem die Frage, ob die Hinnahme der bestehenden Grenzen in den Verträgen eine endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens bedeuten würde, und die Befürchtung, mit dem Abschluss eines Vertrages mit der DDR die völkerrechtliche Anerkennung des zweiten deutschen Staates auszusprechen. Schon Brandts Bemerkungen in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969: »Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland...« wurden von Rednern der Opposition scharf kritisiert und als »dunkle Stunde für dieses Haus, für unser Volk« bezeichnet. Als im Juli 1970 Unterlagen aus den Verhandlungen des Staatssekretärs Egon Bahr, das »Bahr-Papier«, in Moskau durch eine Indiskretion vorab veröffentlicht wurden, glaubte die Opposition den Beweis für ihre Behauptung in der Hand zu haben, dass die Verhandlungen von deutscher Seite übereilt und nicht sorgfältig genug geführt und Rechtspositionen in dilettantischer Weise aufs Spiel gesetzt würden. Die Behandlung der Ostverträge im Bundesrat und im Bundestag führte im Februar 1972 zu einer mehrtägigen Redeschlacht. Nach dem Scheitern des Misstrauensvotums gegen Bundeskanzler Brandt rangen sich die Bundestagsfraktionen zu einer »gemeinsamen Entschließung« (17. Mai 1972) durch, mit der der Versuch gemacht wurde, Gemeinsamkeiten für die Abstimmung über die Ostverträge und bezüglich der darin erwähnten »heute tatsächlich bestehenden Grenzen« zu formulieren. Zur Deutschlandpolitik wird in der gemeinsamen Erklärung festgestellt: »Die Politik der Bundesrepublik Deutschland, die eine friedliche Wiederherstellung der nationalen Einheit im europäischen Rahmen anstrebt, steht nicht im Widerspruch zu den Verträgen. .. Mit der Forderung auf Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts erhebt die Bundesrepublik Deutschland keinen Gebiets- oder Grenzänderungsanspruch.«
 
Eine breite Mehrheit für die Ratifizierung der Verträge konnte die gemeinsame Entschließung, der 491 Abgeordnete zustimmten, gleichwohl nicht herbeiführen. Bei der Schlussabstimmung am 17. Mai 1972 stimmten dem Moskauer Vertrag 248 Abgeordnete zu, 10 stimmten mit »Nein«, 238 enthielten sich der Stimme, dem Warschauer Vertrag stimmten ebenfalls 248 Abgeordnete zu. Hier ergaben sich 17 »Nein«-Stimmen und 231 Enthaltungen. Bei Stimmenthaltung des größten Teils der CDU/CSU-Fraktion waren damit die Verträge im Bundestag angenommen. Am 19. Mai 1972 ratifizierte auch der Bundesrat - bei Stimmenthaltung der CDU/ CSU-geführten Länder - die beiden Ostverträge.

Universal-Lexikon. 2012.

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